Texte
> Brief an einen Freund
> Rede von Fritz Bremer zur Eröffnung der Ausstellung „Geschichten von Licht und Schatten“
> Blick – Mauer - Ambivalenz
Interview im „Nordlicht“, der Zeitschrift der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein :
Nordlicht: Neben der Medizin schlägt Ihr Herz für die bildnerische Fotographie. Wie entstand diese zweite Leidenschaft und wie hat sie sich in den verschiedenen Lebensphasen entwickelt?
Reibisch: Erste Erfahrungen sammelte ich in der Dunkelkammer der Foto-AG der Kieler Hebbelschule, Mein künstlerisches Suchen entwickelte sich später – etwa ab 1982 in einer schwierigen Lebensphase. Meine polare Sicht der Dinge löste sich auf. In meinem privaten Leben suchte ich, angestoßen durch die Frauenbewegungen, ein neues Männerbild. Als Teil der 68iger Bewegung musste und wollte ich meine Schwarz-Weiß-Sicht hinterfragen. Und im ärztlichen Bild des Menschen störte mich zunehmend die verengte naturwissenschaftliche Sicht des Menschen. Der Erkrankte ist ein technisch zu lösenden Objekt. Das künstlerische Suchen und Gestalten half mir in dieser Lebensphase. Es schenkte mir Zeiten der Ruhe, des Eintauchens in andere Ebenen. Der genaue Blick, der Mut zum Detail öffnete ein Fenster, um frische Luft hineinzulassen. Ich entdeckte das Dazwischen in unserer polaren westlichen Weltsicht, unbewusste Anteile meines und unseres Lebens.
Nordlicht: Ihre früheren Bilder sind analog fotografiert und in der Dunkelkammer gestaltet, heute arbeiten Sie digital und gestalten die Bilder am PC. Inwiefern hat das ihre Bilder über das rein technische hinaus verändert?
Reibisch: Da ich eine rot-grün Farbschwäche habe, arbeitete ich analog nur schwarz-weiß. Zur Bearbeitung konnte ich die Härtegrade verändern, die Tönung. Ich konnte Ausschnitte machen und die Belichtung variieren. Die digitalen Werkzeuge benutze ich ähnlich, sie erlauben mir, differenzierter zu arbeiten. In meinen Fotos wird die Wirklichkeit nicht verfälscht. Das digitale Arbeiten schenkte mir mehr Freiheit, erlaubte mir, mit Serien, Ausschnitten mutiger umzugehen. Den genauen Blick zu schärfen.
Nordlicht: Welche Leitthemen stehen im Mittelpunkt Ihrer Arbeit?
Reibisch: Für mich wird der Baum, das Meer, der Findling zu einem Partner, mit dem ich mich austausche. Der in unserer Kultur übliche strenge Gegensatz von Subjekt und Objekt lockert sich. Unser soziales Leben ist zunehmend durch eine Gier nach „Immer-schneller-immer-höher“ geprägt. Ich möchte meine Wahrnehmung verstärken, indem ich mich verlangsame, indem ich dem Auge und der Seele mehr Ruhe gebe.
Sie beschäftigen sich auch mit moderner Kunst. Welche Zusammenhänge gibt es?
Reibisch: Wir leben in einer Zeit, in der auf allen Ebenen neue Antworten gefunden werden müssen. „Fließende Moderne“ nennt der Soziologe Baumann unsere Situation treffend. Wissen und Handeln klafft immer weiter auseinander. Unser so wertvolles humanistisches Weltbild traut sich immer weniger zu, verkalkt zunehmend. Eine zunehmend kriegerische Wirtschaftsordnung prägt unser Leben, macht oft krank. Moderne Kunst sucht intuitiv Wege heraus aus Leblosem. Wie bei meinem fotografischen Suchen berührt mich zunächst ein modernes Kunstwerk und ich weiß nicht, warum. Ich setze mich dem Unbekannten aus und suche. In den letzten Monaten beschäftige ich mich z.B. mit dem koreanisch-japanischen Künstler Lee Ufan, Er hinterfragt unser enges und objektivierendes Bild der Welt. Inspiration und Intuition können eine höhere Form des Erkennens sein. Sie sollten der Gier, dem Berechenbaren, der oberflächlichen Eile ein helfender, fragender Gegenpol sein.
Nordlicht: Wie sieht Ihr Ansatz aus?
Reibisch: Da ist zunächst das Verlieren in der Schönheit eines Augenblicks. Ein Bild, das mich bewegt, berührt in meinem Inneren einen Raum, den ich noch nicht kenne. Wo endet der Verstand, wo beginnt das Andere? Es können sich Räume öffnen hin zu seelischen, zu sozialen oder geistigen Themen in mir und in der Welt, zu unseren Licht- und Schattenseiten. Gute Bilder verwirren, stellen Fragen, beginnen, in mir zu leben.
Nordlicht: Ihre Bilder wirken sehr eigenständig und unabhängig. Gibt es trotzdem künstlerische oder handwerkliche Vorbilder?
Reibisch: Ansel Adams – der berühmte amerikanische Fotograf - und seine Lehrbücher schenkten mir handwerkliche und künstlerische Grundlagen. Auch die Fotografen des Dessauer Bauhauses mit ihrer Liebe fürs Detail und dem Spiel von Licht und Schatten regten mich an. Peter Mathis ist ein heutiger Fotograf, der beim Wandern in der Natur das „Große im Kleinen fand“. Konzentration auf das Wesentliche ist seine Leitlinie. Seine neuen schwarz-weiss Bilder faszinieren mich.
Nordlicht: Viele Ihrer Bilder strahlen eine Haltung aus, nämlich „sehr nah rangehen“. Richtet sich diese Aufforderungen nur an Sie selbst als bildnerischer Fotograf, oder im übertragenden Sinn auch als Botschaft an den Betrachter?
Reibisch: Zunächst ist es meine sehr persönliche Sichtweise. Es freut mich sehr, wenn Bilder von mir gut tun, im Anderen ein ganz eigenes Suchen auslösen. Noch mehr freut mich dann ein Gespräch über Ähnliches und Unterschiede. Im Reflektieren können dann geglückte Augenblicke entstehen.
Nordlicht: Sie hatten bereits Ausstellungen, u.a. in Arztpraxen, in der Galerie Lutterbek, im Polnischen Theater Kiel, im Kieler Literaturhaus, im Kieler Gewerkschaftshaus und in der Marktkirche in Halle an der Saale. Wie reagieren die Menschen auf Ihre Bilder?
Reibisch: Berührt sein – so was Schönes - hat mir Ruhe geschenkt – was ist das denn? – Achtsamkeit, Konzentration, Genauigkeit – die Tiefen sah ich erst nach längerem Hinschauen. Ähnliche Kommentare, auch passende Rilke Gedichte wurden mir geschenkt.
Nordlicht: Gibt es einen Zusammenhang zwischen Ihrer Arbeit als Hausarzt am Kieler Ostufer und den Inhalten und Botschaften ihrer fotografischen Arbeiten?
Reibisch: Manchmal sehe ich in meinem künstlerischen Gestalten eine Nähe zu meinem ärztlichen Tun, ganz besonders bei den oft komplexeren psychosomatischen Zusammenhängen – hinter dem Offensichtlichen das nicht Sichtbare, den treibenden Untergrund, Zusammenhänge zu spüren. Der erste Händedruck im Sprechzimmer, der erste Blick, das Umkreisen der Themen bei der Anamnese, Labor- und andere technische Untersuchungen, Zuhören, Austauschen, fragen und fragen lassen, „mit dem Herzen hören“: es wächst ein heilender Raum. Wissenschaftliche Fakten verbinden sich mit all den auch unbewussten Beobachtungen nach und nach zu einem Konzept der Therapie.
Nordlicht: Unter https://peter.reibisch@gmx.net sind einige Ihrer Arbeiten auch online zu sehen. Eines der Themen lautet „Mauern“. Könnten Sie erläutern, was sich dahinter verbirgt?
Reibisch: Es ist zunächst eine Freude, Mauern als Bild zu betrachten. Sie erzählen Geschichten. Ein Beispiel: beim Wandern durch das alte Ostberlin entdeckte ich in der Auguststraße folgendes Bild: neben einer bunten Einladung zu einem Kinderfest stand auf der Mauer daneben in schwarzer Schrift: „war is coming“ und darunter auf einer vergitterten Kellermauer eine schwarze Hand mit der Aufschrift: „Enjoy your power“. Kann man die heutige Situation unserer Welt besser darstellen? Zweites Beispiel: Ein mir wichtiges Bild entstand an der irischen Atlantikküste. In den Spalt einer mächtigen Felswand haben Sturm und Wellen zwei kleine, runde, hellwarme Steine gespült. Sie ducken sich aneinander. Ich sehe ein Spiel von kalter Gewalt, von Wärme und Geborgenheit, von Zuversicht. In mir entstand das ambivalente Bild zweier Menschen, die auf der Flucht Schutz gefunden haben. „Das nackte Leben“ nannte der Philosoph Agamben diese uralte menschliche Lebenssituation.
Meine Arbeiten zum Thema „Mauern“ schenkten mir ein immer differenzierteres Gespür für die schönen, die abgründigen, die sozialen und bitteren Seiten des Lebens. Sie zeigten mir, dass die realen Mauern zunächst im Menschen gespürt, gedacht werden, bevor sie zu einem geschützten Wohnen, einem Gefängnis oder zu „Mauern im Mittelmeer“ werden.
Nordlicht: Sie sagten einmal mit Blick auf Ihre Bilder: “Ich will nicht nur Schönes zeigen – und zugleich nur das Schöne zu bemerken, hilft mir die Welt auszuhalten.“ Können Sie diesen Leitgedanken erläutern?
Reibisch: Eins meiner Bilder nannte ich „Alt und schön“. Am Rande eines kleinen Hafens an der irischen Westküste fand ich einige abgewrackte Fischerboote. Vermoderte Planken, Schichten verschiedener Farbreste, messerscharfe Metallreste, Rostfarben, die kein Mensch hätte erfinden können, in meinem Ohr der atlantische Sturm und im Herzen das Wissen um das harte Leben der Fischer. „Oh wie schön!“ war meine erste Empfindung.
Nordlicht: Welche Pläne und Projekte stehen in der nächsten Zeit auf Ihrer Agenda?
Reibisch: Die Themen ändern sich in meinem Alter. An der Schwentine in meiner Nähe gibt es einen kleinen „Urwald“. Alte Bäume dürfen einfach so sein, werden nicht geerntet. Sterben und wandeln sich in neues Leben. Dort bin ich gerne. Stundenlang. Lauschend mit allen Sinnen. Etwas tröstet mich. Die destruktive Seite unseres Lebens relativiert sich. Der innere Antrieb, daraus ein Projekt zu machen, wird kleiner.
Brief an einen Freund
21.05.2018
Lieber K., ich möchte versuchen, auszudrücken, was für mich das künstlerische Suchen in meiner Moderne ist.
Tastend. Suchend. Unsicher. Umkreisend.
Sowohl nach dem ersten, wie auch nach dem zweiten Weltkrieg-Gemetzel haben Künstler aus diesem Schock heraus das Dahinter gesucht.
Was treibt uns Menschen immer wieder in archaisch anmutende, unseren rationalen, humanistischen Möglichkeiten diametral entgegenstehende Unmenschlichkeiten?
Nicht nur Brecht oder Georg Gross, auch Paul Klee und Picasso und Kandinsky suchten unbewusste Hinter- oder Untergründe, die Schattenwelten, die offensichtlich unser Tun viel wesentlicher bestimmen als unsere zunehmend nur am materiellen, wirtschaftlichen Weltbild orientierte Sichtweise.
Auch nach dem 2. Weltkrieg suchen die informellen Künstler, auch Baumeister und dann eben Beuys wieder in diesem Sinne. Und zwar war es allen diesen Künstlern wichtig, das wissenschaftliche Denken seit der Renaissance zu achten und in die anderen Ebenen des menschlichen Suchens zu integrieren. (Ein wichtiges Buch hat mir sehr geholfen, hier Zusammenhänge besser zu verstehen: Antje Oltmann: „Der Weltstoff letztendlich ist….neu zu bilden“. Joseph Beuys für und wider die Moderne. Edition Tertium).
Für mich persönlich hat, wie Du weißt, das Morden im 2. Weltkrieg sehr meinen Lebensweg bestimmt. Das hilflose Schweigen der 50iger/ 60iger Jahre.
Die 68iger Zeit.
Meine pseudowissenschaftliche, buchstabenhafte, enge Sicht des Marxismus. Dann auch meine psychotherapeutischen Erfahrungen mit mir selbst. Meine Beiträge zur Heilung all dieser menschlichen Hilflosigkeiten in meiner ärztlichen Arbeit. Psychosoziale, psychotherapeutische, psychosomatische Zusammenhänge. Auch mein Suchen in Zen-Zusammenhängen. Was ist im west-östlichen Dialog zu entdecken?
In Rütte, diesem Ort des kunsttherapeutischen und zenorientierten Suchens erlebte ich um 1990 beim „unbewußten Malen“ so einen Kipppunkt, der mein Weltbild wesentlich veränderte: ES MALT IN MIR.
Nicht: Ich male das, was mir einfällt.
Was treibt mich, in welchen größeren Zusammenhängen leben wir, zappeln wir?
Lebe ich oder werde ich gelebt?
In dieser Zeit löste ich mich zunehmend vom „offiziellen“ ärztlichen Weltbild, auch vom inzwischen in die westliche Lebensweise intergrierten Bild der Psyche, der Psychotherapie. Mein Suchen wanderte in mein künstlerisches Suchen. Einen eigenen Ausdruck für das zu finden, was mich treibt, was uns treibt, was hinter dem reflexmäßigen alltäglichen „Denken“, Urteilen steckt. Wie unsere Körper immer radikaler kapitalisiert und zu Objekten werden und zwar dadurch, dass sich heute die neoliberalen Machtstrukturen physisch in uns einschreiben. Kunst zeichnet sich auch dadurch aus, dass wir sie nicht auf Anhieb verstehen, dass sie uns immer wieder neu emotional und intellektuell berührt. Doch zunächst orientiere ich mich an einem inneren Gefühl: bewegt mich bei der Begegnung mit einem Künstler, einem Kunstwerk, auch einem Zen-Garten, etwas Tiefes, Fragendes, Herausforderndes?
Beuys ist an seinen Kriegserlebnissen fast zerbrochen. Was tun Menschen sich immer wieder an? Mich haben besonders seine beiden Werke: „Straßenbahn-haltestelle“ (1976 Biennale Venedig) und die Inszenierung seines Kampfflugzeugsabsturzes in Rußland, seinem Nahtoderleben dort, sehr berührt und in den letzten 30 Jahren immer wieder neu beschäftigt. Geheilt zu werden durch die liebevolle, nicht wertende, fast animalische Zuwendung durch die Bewohner der Steppe.
Durch Fett und Filz.
In dem neuen Film von Andres Veiel wird Beuys ja gefragt, ob er mit seiner Erzählung der Heilung nach dem Absturz in der Steppe die Realität beschreibt oder seine Verarbeitung dieser Realität.
Er antwortet nicht.
Er lässt offen.
Er öffnet und zwingt den Fragenden, zu suchen, selbst sich auf den Weg zu machen. Auf diese Weise sind mir nach und nach die tieferen symbolischen Bedeutungen vom Fett, vom Filz, vom Honig, vom „Ostmenschen“, vom Kojoten, vom Hasen….etc näher gekommen. Nicht in seiner Deutung, sondern angestoßen durch sein provokantes Werk, sein Setzen eines paradoxen Bildes, sickerte nach und nach eine sehr eigene Umdeutung meines Weltbildes in mir ein.
So wurde seine Inszenierung seines Flugzeugabsturzes für mich ein starkes emotionales Bild der Kriegstraumata.
Es wurde ein sehr tiefes Bild dieser eiternden nicht nur deutschen Kriegs-Wunde und so kann an dieser Stelle dann ein Suchen nach Heilung beginnen…..Beuys hat damit ein Paradox geschaffen, ein nicht rational verständliches Gegensatzbild.
Wenn wir zulassen, dass es verwirrend in uns eindringt, kann ein Suchen beginnen und – vielleicht – taucht auch eine Antwort auf, plötzlich. Im östlichen Suchen gibt es das „Koan“, dem Suchenden wird ein Rätsel gegeben, das zunächst nur verwirrt, das aber die Potenz in sich trägt, zu einer ganz überraschenden neuen Stufe des Erkennens zu finden.
Der Künstler und Schriftsteller Heiner Müller sagt in seinem Buch "Krieg ohne Schlacht - Leben in zwei Diktaturen" Ähnliches. "Denken ist lebensfeindlich. Es gibt eine Differenz zwischen Leben und Sein, zwischen Denken und Leben. Das ist das Paradox der menschlichen Existenz.....Ich glaube, Kunst ist ein Angriff auf dieses Paradox, auf jeden Fall eine Provokation, die auf dieses Paradox hinweist."
Nun mache ich einfach mal Schluss und es war für mich schön, das mal aufzuschreiben.
Herzliche Grüße
Peter
Rede von Fritz Bremer zur Eröffnung der Ausstellung
„Geschichten von Licht und Schatten“
am 08. 10. 2016 im KUNST IM NC, Kiel.
Gedanken zu den fotografischen Bildern von Peter Reibisch.
Je länger ich Peter Reibisch fotografisch bildnerische Arbeit – mal mitgehend mal mit schauend, sprechend - im Austausch miteinander- miterlebe, desto mehr kommt es mir vor, dass er eine sehr eigene Art der Natur- und Kulturforschung entwickelt. Eine, die nicht auf neue technische Errungenschaften und ökonomische Verwertung aber umso mehr auf Erkenntnis aus ist, auf Entdeckung ,auf das verborgene Schöne, auf die Resonanz der Dinge in der Seele des Betrachters, auf das Glück der Entdeckung, ja, er ist aus - auf so etwas wie „Wesensschau“. Dazu später noch einige Worte mehr.
Handwerk und Technik
Peter Reibisch fotografiert mit einer digitalen Spiegelreflexkamera. Jede Entdeckung wird im Sucher betrachtet – mit der Haltung: nah rangehen. Die Fotos werden auf den PC überspielt, die Bilder mit Hilfe des Fotoshop-Programms bearbeitet. Es gilt: an das Entdeckte noch näher heranzugehen, Ausschnitte zu machen, zu fokussieren, auf Details zu reduzieren – geleitet von der suchenden Haltung: was bewegt, was berührt, was hat eine Resonanz – ohne sogleich etwas von der Bedeutung zu wissen, ohne schon nach Bedeutung zu fragen.
Das so fokussierte , reduzierte in die Nähe geholte Bild wird nun vergrößert – übers Internet, anschließend das in die Nähe geholte vergrößerte Bild aufgezogen auf Platten. Dann gilt es, die Ausstellungsräume, die Wände, die Flächen, das Licht zu studieren, um zu wissen, wo der richtige Platz für verschiedene Gruppen von Bildern ist.
Die Zusammenstellung der Bildergruppen ergibt sich aus dem Gespräch, in das die Bilder miteinander eintreten, aus den Geschichten, die zwischen den Bildern entstehen. Einige Bilder bekommen einen Namen. Die Namen entstehen assoziativ. Eine zurückhaltende Titelgebung schützt vor überhöhter persönlicher Bedeutungsaufladung. Den Umgang mit der Technik erschließt Peter Reibisch sich autodidaktisch mit einer für mich unfassbaren Geduld. Die Art seiner handwerklichen Arbeit ist konzentriert und geschmeidig.
Streifzug und Blickfang
Die Streifzüge können weit führen und lang dauern. Die ganze Dauer - vor allem auch des ausgedehnten Augenblicks der Entdeckung – lässt sich nicht wirklich beschreiben. Angenommen wir gehen gemeinsam los, angenommen durch den Wald zum Südstrand vom Darß – dann kann es geschehen, dass Peter Reibisch langsam aus Sichtweite verschwindet und in einen anderen Modus wechselt: allein, konzentriert, still, sich treiben lassend – im Wortsinn von einem Augenblick zum nächsten. Er selber beschreibt das so: „Es fängt damit an, dass mich etwas anzieht und neugierig macht. Ich spüre das als innere Aufgeregtheit, als besondere Wachheit und Aufmerksamkeit. Früher – in der Zeit von 36 Bildern pro Film, da lagen die Bilder, die mir wichtig wurden, immer direkt nebeneinander. Wenn ich über diese besondere Wachheit nachdenke, wird mir klar, - mich zieht etwas an, weil etwas Bewegendes und Unbewusstes in mir aufwacht. Mir wird die Chance gegeben, die Beziehung zwischen dem Innen und Außen erneut zu erforschen, zu vertiefen, weiter zu entwickeln. Das, was da angesichts des Steins in mir geweckt wird, fängt an, sich mit dem Stein zu unterhalten.
Solch einen Augenblick empfinde ich als Geschenk. Das ist wie ein geglückter Moment, ein gelungener Kontakt. Und ich spüre sofort: das tut mir gut, hat etwas Heilsames.“
Während der Streifzüge und Blickfänge ist Peter Reibisch nicht in einer eigenen, nicht in einer anderen Welt. Er ist auf eine Weise er selbst in dieser Welt, die ihm die Wirklichkeit wirklicher, realer, erkennbarer und das Innen und Außen verbundener macht.
Der Prozess
Eine Bemerkung zur Entstehung dieser einleitenden Worte selbst. Peter Reibisch und ich haben in den vergangenen Jahren häufig über seine fotografisch bildnerische Arbeit gesprochen. Häufig war es so, dass sich im Gespräch neue Gedanken zum Prozess der Arbeit an den Bildern zeigten, bzw. im Austausch - zwischen uns – sich neue Formulierungen bildeten. Und so war es auch in den zwei Gesprächen, um die ich Peter – zur Vorbereitung des Textes bat: im Gespräch entwickelte sich so etwas wie gemeinsames Denken und Formulieren. Das kommt mir vor wie eine Analogie zu dem Prozess, der Arbeit an den Bildern, der im Folgenden weiter beschrieben wird. Also – Peter Reibisch: „Bei der Auswahl der Bilder, die ich weiter bearbeiten möchte, bemerke ich die Vielfalt und das Eigene der Bilderwelt, die sich da ausbreitet. Eigen? Ja, im Sinne von:“ Von mir gewählt“ – aber auch im Sinne von: „Eigene Welt“. Im Gestaltungsprozess gewinnen die Bilder eine konkrete Bedeutung – konkret – in einem fließenden Sinne. Es entsteht etwas, Bedeutung bildet sich – im Umgang mit den Bildern in einem lebendigen Augenblick. Das ist ein plakativer Begriff. Was heißt das? Zu dem Augenblick gehört eine Form, an der ich arbeite, mit der ich zufrieden bin. Ich erlebe immer wieder neue Begegnungen mit dem Bild. Wenn bei weiteren Begegnungen eine Verbindung entsteht, dann erweitert sich das erste Bild, es entstehen Konturen, Unsicherheiten oder auch eine Sicherheit in der Wahrnehmung des Bildes.
Diese Haltung, diese sich entwickelnde aufmerksame Wahrnehmung ist – vermute ich- in meinem Leben insgesamt wichtig geworden – auch in der ärztlichen Arbeit. Es braucht Zeit, bis hinter dem ersten Eindruck Facetten und Themen sichtbar werden, bis sich Wesentliches zeigt und ein tieferes Verständnis entsteht.“ Zeigt auf ein Bild:“ Ich schaue gerade den Stein an. Das ist ein Ureinwohner. Das sind versteinerte Korallen. Das ist versteinertes Leben. Das ist ein Blick in die Naturgeschichte, also auch in unsere Geschichte. Was da sichtbar wird, das sind auch Gespenster, das sind Gespenster unserer Geschichte, also auch unsere Gespenster. Da wird etwas von dem sichtbar, was C.G. Jung Archetypen nennt. Während ich an diesem Bild arbeite, bekomme ich Kontakt zu den tiefen Schichten des Steins, des Lebens - zu Irrationalitäten, die Menschen in Not und Krieg oder in Liebe und Hoffnung bringen. Also – in der Arbeit am Bild vom Stein z.B. stoße ich auf die Ambivalenzen, die ja auch unsere Gespenster sind. Das liegt weit – am Ende der Arbeit am Bild.
Es ist ein Prozess der Konzentration zwischen uralt und gegenwärtig, Licht und Schatten, Bitterem und Schönem, ja, Krieg und Frieden…Mir ist vollkommen bewusst, dass das mein Blick in die Welt ist und eben ganz subjektiv. Auch das, was dann in der Arbeit am Bild geschieht, ist nichts Objektives oder Objektivierendes. Fotos erzeugen ja doch eher den Schein des Objektiven – verglichen mit Zeichnungen, Gemälden. Aber nein – das hier ist mein Eindruck, mein Ausdruck – also – in gewisser Weise bin ich das. Und natürlich sieht nun jeder Betrachter das Bild auf seine Weise. Und das ist auch gut so. Da geschieht etwas zwischen Bild und Betrachter, ein weiterer Prozess. Das, was nun im Unbewussten des anderen angesprochen wird, - ist völlig unabhängig von mir, ist anders. Daraus entsteht die ganz besondere Beziehung des anderen zum Bild.“
Das, was Peter Reibisch hier beschreibt, nannte ich anfangs „Wesensschau“, ein phänomenologischer, phänomenaler Zugang zum Stein, zum Tropfen, zu den Figuren an der Wand. Und ich möchte hinzufügen: Diese Art der fotografisch bildnerischen seelischen Arbeit ist neben allem und zugleich eine Zen – Übung. Und am Ende - die Bilder- heute - ein Geschenk an uns, an die Betrachter.
Eins noch – sagte Peter zu seinen Bildern:“ Ich will nicht nur Schönes zeigen – und zugleich – nur das Schöne zu bemerken, hilft mir die Welt auszuhalten.“ So kann es kein widerspruchsfreies Ende dieser Ansprache geben – aber eine schöne Aufforderung von Max Beckmann: „Willst Du das Unsichtbare kennenlerne, ergib Dich mit ganzem Herzen dem Sichtbaren.“
Blick – Mauer - Ambivalenz
Fritz Bremer
Was zieht den Blick an? Was sucht der Blick? In welchem Verhältnis zueinander stehen der Schauende und das, was angeschaut wird? Welche Verbindung entsteht zwischen dem Sehenden und dem, was gesehen wird?
Wir sprachen darüber. Peter Reibisch: " Der Eindruck von Mauern, Bilder von Mauern haben mich schon immer beschäftigt. Jede sichtbare, äußere Mauer entsteht zuvor schon als Vorstellung, als inneres Bild. Zum einen erscheinen mir Mauern als schöne Bilder, als abstrakte Gemälde. Etwas zieht mich an: Gesichter, Gestalten, die Schönheit, die in der reduzierten, klaren Form liegt, eine Schönheit, die Fragen stellt.
Dann sehe ich an der Mauer die Spuren der Zeit. Welche Leben gehören zu ihr? Aus der Mauer schaut mich etwas an, das mich bewegt. Die Mauer in dem Dorf in Sizilien: zerbröselnder Putz, Steine, eiserne Klappe, Scharnier - ich denke, das wird sicher ein schönes Bild, - und dann wird das Schöne brüchig. Was ist hinter der Klappe, was war dahinter, was geschah hinter der Mauer? Welche Geschichten erzählen die Risse, die Zeichen?
Und Mauern in der Stadt? Sie sind keine Spiegel, und doch spiegeln sie etwas vom Leben der Stadt. Es hinterlässt Zeichen an der Mauer - Zeichen der Wünsche, der Ängste, der Wut der Menschen, die alle hier schon lebten." Soweit vorerst Peter Reibisch.
Nocheinmal zurück zum Blick. Was zieht den Blick an? Was sucht der Blick? Welche Verbindung entsteht da? Mir scheint, - unseren Blick zieht das an, wofür unsere Seele Gestalt sucht. So viele Menschen vor einer zeichenreichen Mauer stehen und sie betrachten, so viele Gesichter, so viele Schriftzeichen werden sichtbar. All das, was sich der Mauer eingeschrieben hat, teilt sich jedem Betrachter auf andere Weise mit. Das, womit unser Unbewußtes zu tun hat, das, was unsere Seele bewegt, erscheint in den Bildern, die unsere Augen erblicken. Der Blick findet im Außen die Bilder, die unsere Seele sucht.
In einem weiter gefassten Sinn kann ich hier sagen: so sehe ich das. So sahen wir das - im Gespräch. Diese Vorstellung von der lebendigen Verbundenheit zwischen dem Blick und dem, worauf er fällt, stellte sich im Gespräch zwischen uns ein.
Die Vorstellung vom Unbewußten, bzw vom Bewußten - ich beziehe mich dabei auf die Gedanken C.G. Jungs - leitet zur Frage nach dem Wesen von "Mauer". In unserem Gespräch kamen wir recht bald auf "Ambivalenz". Das Wesen von "Mauer" ist ihre Ambivalenz. C.G. Jung stellte sich eine Trennung zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten vor, so ewas wie eine Grenze. Wenn die Grenze zwischen dem Unbewußten und dem Bewußten brüchig wird, kann es sein, dass die Bilder des Unbewußten uns überfluten - so als kämen wir aus einem Traum nicht mehr heraus oder so wie viele Menschen es in einer Psychose erleben. Der andauernde Ansturm der Bilder des Unbewußten würde uns handlungsunfähig machen. Es ist also gut, dass diese Grenze hält, dass das Tor halbwegs verschlossen ist. Und schon müssen wir die Blickrichtung ändern und froh sein, dass die Grenze nicht ganz dicht ist, dass das Tor gelegentlich aufgeht - zum Beispiel im Traum. Seien wir froh über die zeitweilige Öffnung der Mauer, denn ohne das Träumen
könnten wir auch nicht leben. Die Grenze ist überlebenswichtig und ihre Öffnung auch.
Ich sage es noch einmal anders: Es gibt Grenzen zwischen dem, was wir sind - und dem, was in uns schlummert. Sie halten und schützen uns und sie verhindern uns.
Eine Entsprechung findet sich in der Betrachtung der Erfahrung des jeweils anderen, in der Begegnung mit dem anderen. Die Erfahrung des anderen bleibt auf immer unsichtbar für mich. Meine Erfahrung bleibt auf immer unsichtbar für den anderen. Da ist zwischen uns eine Mauer. Wir arbeiten hart am Verstehen. Aber die unsichtbare Mauer bleibt. Die Liebe verfolgt den innigen Wunsch, sie einzureißen. Die Mauer bleibt. Die Liebe geht -oder lernt, dass die Grenze bleibt, dass sie auch hilfreich ist. Es wäre furchtbar, wenn unsere Art der Erfahrung, wenn unsere Seele sichtbar würde für den jeweils anderen.
Recht nah kommen wir der Öffnung für die Erfahrung des je anderen, wenn wir gemeinsam vor einem Bild stehen, z.B. vor dem Bild einer Mauer.
Und so geht es weiter mit der Ambivalenz der Mauern und Grenzen. Feindbilder sind Mauern. Indem behauptet wird, die Gefährlichkeit des anderen genau zu kennen, wird der beginnenden völligen Unkenntnis des anderen Vorschub geleistet.
Ohne Trennendes geht es nicht. Aber zu viel Trennendes zerstört das Verbindende.
Wir brauchen das umbaute Draußen, die Mauern, die uns schützen, die uns Sicherheit geben. Zugleich trennen sie uns von den anderen und können zum Symbol der Einsamkeit werden.
Mauern sperren aus und sperren ein.
Mauern sind schön. Ihre Schönheit wird brüchig. Verwandeln sich in Schrecken. Das alles kam in unserem Gespräch vor. Und dann rief Peter einige Bilder von Mauern auf, die unsere Gedanken konkreter machten.
Er kommt auf die "Berliner Mauer" zu sprechen: " ...was für die einen "Schutzwall" war, war für die anderen Gefängnismauer. Oder: wer sich durch eine Mauer schützen will, sperrt sich zugleich selber ein. Die "Berliner Mauer" drückte u.a. aus, dass es weder im Osten noch im Westen ohne Zuschreibung von Schuld, ohne Feindbild ging. Die Mauer war ein starkes Bild dafür, dass die Schuldzuschreibungen schrecklich notwendig waren, um sich mit der Frage nach der eigenen Schuld nicht konfrontieren zu müssen. Schuld und Angst waren beherrschend in dieser Zeit. Das Bild mußte so stark sein. Heute errichten wir in Europa gedankliche und konkrete Mauern der "Festung Europa". Wir wissen, dass die von uns betriebene Ausbeutung z. B. in Afrika den Hintergrund dafür bildet, dass die Menschen dort kein Auskommen mehr finden. Auf eine Art haben wir selbst sie in die Flucht getrieben und haben nun Angst vor ihnen und wehren sie ab."
Ich unterbreche: "Ich erinnere mich gerade an eine Zaun-Erfahrung in London. Daniel und ich wollten das Grab von Karl Marx besuchen. Das Friedhofstor war geschlossen, dicke Ketten hielten die beiden Torflügel zusammen. Auf einer Tafel lasen wir, dass die Wege des Friedhofs abgesunken seien. Das Betreten sei lebensgefährlich. Wir gingen einige Schritte nach links und erblickten währenddessen die hohen Mauern und Gitterzäune, die Kameras und Gegensprechanlagen, die Schutzwälle rund um die großen Villen mit ihren prächtigen Gärten. Kläffende Hunde patrollierten hinter den Gittern. Wir waren erstaunt aber suchten dann doch weiter nach einer Lücke im Friedhofsgitter. Als wir eine fanden und durchgestiegen waren, standen wir vor einer Gruppe von obdachlosen Männern. Sie lagen zwischen den Büschen versteckt im Gras und schliefen. Wir beendeten unseren Karl Marx-Besuchs-Versuch."
Und Peter:
"Stell Dir mal diese Hoteltürme beim Berliner Hauptbahnhof vor. Beängstigend hohe, dunkle Türme und die Wege dazwischen sind zu Schluchten geworden. Monströse Gitterfassaden aus Stahl und Glas, die so tun, als wären sie transparent. Mir kommen sie vor wie ein riesiges dunkles Versteck, das zum Gefängnis wird. Welches Gefühl hat da gebaut?"
Ich schweife ab und komme nochmal auf die "Berliner Mauer", mir fällt der "Limes" ein, die "Chinesische Mauer" und dann die von Trump geforderte Mauer zwischen USA und Mexico: " Was treibt jemanden um , der solche Mauer phantasiert? Eine seltsame Dialektik - ein wirklich grenzenlos schamloser Mensch, einer der grenzenlos keine Grenzen hat - droht der ganzen Welt mit vielfältigen Grenzen und Mauern. - Wir benötigen lebensnotwendig auch das Trennende. Aber es ist schwer darüber zu sprechen und die Bilder dazu auszuhalten - in einer Welt, in der das Trennende wieder mehr und mehr gewaltsam erscheint."
Wir wandern gedanklich umher, kommen auf die mächtigen und prächtigen Mauern der Kathedralen. Warum wurden diese Gotteshäuser so gebaut? Sind ihre Mauern Sinnbild der Macht Gottes oder zeigen sie das Ausmaß der Angst der Betenden vor der Welt da draußen. Und Peter sagt: " In unserer heutigen wieder brennenden Welt hilft mir die Schönheit, zum Beispiel die unheimliche oder lichte Schönheit einer Mauer, die magische Anziehung der Gesichter und Zeichen, die ich da sehe. Ich komme zurück auf den Blick auf die Ziegelsteinwand. Sie gibt mir in ihrer Schönheit Halt. Sie zeigt die ernsthafte handwerkliche Arbeit. Ich sehe die Ziegelsteinwand und spüre etwas von der Arbeit der Hände der Menschen, die sie gebaut haben.
So ging es einige Zeit. Und immer wieder stießen wir auf die Frage:
dürfen Mauern schön sein?
Ja, natürlich! Das sehen wir doch gerade hier - rundum...
Und schon stellt sich das nächste Aber ein.
Ich komme zum Schluß. Ich erzwinge ihn. Denn das Denken über Mauern ist grenzenlos.
Peter Reibisch - Fotografie